Für Demokratie, Gerechtigkeit und unser friedliches Zusammenleben

Gedanken zur Durchsetzungsinitiative von Nationalrätin Christine Häsler in der „Jungfrau Zeitung“ vom 16. Februar 2016

In unserem Land leben und arbeiten viele Nationalitäten, Kulturen und Religionen friedlich zusammen. Schon seit langer Zeit. Das war nicht immer leicht. Wir mussten es lernen, aber wir haben viel dabei profitiert. Denn wer ist heute nicht stolz auf den italienischen Schwiegersohn, die amerikanische Schwägerin und so oft sogar auf den Spitzenfussballer aus dem Dorf, der ein Migrantensohn ist. Wir leben zusammen und gemeinsam erreichen wir viel. Auch dies ist ein Wert, den ich an unserer Schweiz schätze und liebe. In unserer Tourismusregion ist das Miteinander besonders ausgeprägt. Wir wissen, Tourismus, Baubranche und Gesundheitswesen würden nicht funktionieren, könnten wir uns nicht auf zahlreiche Arbeitskräfte aus dem Ausland verlassen.

Die Schweiz ist ein Vorzeigebeispiel an friedlichem und konstruktivem Zusammenleben. Wir haben allen Grund, diese Kunst des friedlichen Zusammenlebens zu pflegen und den Schatz des sozialen Friedens, des Kulturaustauschs und der Gerechtigkeit zu hüten.

Entgegen allen Behauptungen wird die Ausschaffungsinitiative umgesetzt. Das Parlament hat die nötigen Entscheide dazu gefällt. Zu dieser Umsetzung gehört auch eine Härtefallklausel, nach der in Ausnahmefällen die persönlichen Umstände von Einzelnen berücksichtigt werden können. Doch bereits bevor das Parlament die Ausschaffungsinitiative bearbeiten konnte, wurde mit der Durchsetzungsinitiative eine neue, viel härtere und juristisch starre, unversöhnliche Regelung verlangt.
Die Durchsetzungsinitiative umgeht unsere rechtsstaatlichen Grundsätze, sie erklärt sich selber zur Gesetzgeberin und Richterin. Und dabei geht vergessen, dass sie etwas Unmögliches fordert. Nämlich, dass der Schweizer und der Secondo für das gleiche Vergehen nicht gleich behandelt würden. Dass aber der arbeitsame und gut integrierte Nicht-Schweizer, dessen Kinder mit unseren Kindern zur Schule gehen, mit dem Kriminaltouristen gleichgesetzt würde.

Ausgeschafft würde genau nach dem Wortlaut der Initiative und nicht mehr nach der Frage, ob jemand integriert war und sich neben diesem – möglicherweise einmaligen – Vergehen nichts hat zuschulden kommen lassen. Denken wir nun an die Zusammensetzung unserer Gesellschaft, an unsere Nachbarn, unseren Freundeskreis und unsere eigenen Familien, dann muss uns schaudern. Die Durchsetzungsinitiative würde nämlich verlangen, dass der Nachbar, Arbeitskollege oder Schwiegersohn ausgeschafft würde. Auch dann, wenn er bestens integriert ist, und auch dann, wenn er Kinder hat. Damit lässt sich dann definitiv nicht mehr verdrängen, dass dieses Durchsetzungsgehabe über kurz oder lang Familien auseinander reissen, einen tiefen Keil in die Gesellschaft treiben und auch unsere Wirtschaft massgeblich schwächen würde. Auch deshalb sind sich hier Arbeitgeber und Gewerkschaften, Linke und Bürgerliche völlig einig.

Auch die Befürworter der Durchsetzungsinitiative wissen, dass unser konstruktives und friedliches Zusammenleben wertvoll ist. Auch sie haben Nicht-Schweizer in ihrem engsten Umfeld. Auch sie wären dann geschockt, wenn jemand aus ihrem engsten Umfeld ausgeschafft würde, weil ihm oder ihr etwas passiert ist, das allen passieren kann, dass man mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Die Durchsetzungsinitiative trifft nicht nur kriminelle Ausländer. Nein, ohne die erwähnte Härtefallklausel, die von dieser Initiative eben ausgeschlossen wird, werden auch anständige, integrierte, steuerzahlende Ausländerinnen und Ausländer automatisch ausgewiesen. Etwa wenn sie bei Sozialversicherungen (beispielsweise bei der Pensions- oder Krankenkasse) versehentlich eine falsche Angabe machen.

Grenzen sind wichtig. Aber Menschen bleiben immer Menschen. Diesseits und jenseits von Grenzen. Die Durchsetzungsinitiative teilt die Menschen in unserem Land in unterschiedliche Klassen ein. Doch zu denken und zu behaupten, dass es Menschen erster und zweiter Klasse gibt und dass Ausländerinnen und Ausländer nicht gleich viel wert sind wie wir Schweizer, das ist rassistisch und gefährlich. Denn auch wir Schweizerinnen und Schweizer haben bei dieser Durchsetzungsinitiative viel zu verlieren. Unsere Demokratie, unser friedliches Zusammenleben und die Grundwerte unserer Gesellschaft.

Ich stimme Nein zur Durchsetzungsinitiative. Aus Sorge um unsere Werte und für unsere Zukunft