Rahmenbedingungen für Wasserstoff-Grossproduktion klären

Vorstossart: Motion

Eingereicht von: Kohler (Meiringen, Grüne) (Sprecher/in)

Der Regierungsrat wird wie folgt beauftragt:
1. Er schafft die planerischen Voraussetzungen für die Bewilligungsfähigkeit von grossen Wasserstoffproduktionsanlagen im Kanton Bern.
2. Er schafft Klarheit, wie solche Anlagen konform mit der Störfallverordnung realisiert werden können.
3. Er zeigt auf, welche Rolle die Wasserstoffproduktion vor allem hinsichtlich der Speicherung erneuerbarer Energien in der kantonalen Energiestrategie spielen kann.

Begründung:

Die EU und allen voran Deutschland sehen in der Produktion von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien
– sogenanntem grünen Wasserstoff – einen zentralen Schlüssel für das Gelingen der Energiewende. Der
Ausbau der Produktion und die Forschung werden mit massiven finanziellen Mitteln vorangetrieben. Dennoch stehen neue Wasserstoffproduktionsanlagen selbst in Deutschland vor grossen Herausforderungen.
So hat es bei einer solchen Power-to-Gas-Anlage in Wyhlen nahe der Schweizer Grenze rund drei Jahre
gedauert, um alle Genehmigungen zu bekommen. Die Kosten für Gutachten und Anwälte verschlangen
1,7 Millionen Euro. Dies, obwohl die Anlage auf dem Gelände des Wasserkraftwerks in Wyhlen steht, das
seit über 100 Jahren industriell genutzt wird.
Inzwischen entstehen auch in der Schweiz erste Produktionsanlagen. Insbesondere bei Wasserkraftanlagen. So wollen die Industriellen Werke Basel (IWB) die Wasserkraft am Rhein optimieren und dafür in die
Wasserstoffproduktion investieren. Doch die Standortgemeinde Birsfelden hat dagegen Einsprache erhoben. Der Gemeinderat zweifelt an der Zonenkonformität, obwohl die Anlage in einer Spezialzone Kraftwerk für «Bauten und Anlagen im Zusammenhang mit der öffentlichen Energiewirtschaft» vorgesehen ist.
Der Gemeinderat will zudem Klarheit, ob es sich bei der geplanten Anlage um einen Betrieb handelt, welcher der Störfallverordnung unterliegt.
Solche Fragen würden sich auch bei Projekten im Kanton Bern stellen. Und solche Projekte sind realistisch – besonders bei vielen Wasserkraftwerken. Die Energiewelt verändert sich rasant. Mit steigenden
Anteilen der Photovoltaik im Strommix sinken die Strompreise während des Tages besonders im Sommer.
Namentlich in Laufkraftwerken, wie wir im Kanton Bern einige davon haben, fällt die Energie aber trotzdem
an. Mit diesem Strom Power-to-Gas-Anlagen zu betreiben, kann zu einem neuen Geschäftsmodell werden.
Beispielsweise, um Energie in Form von Wasserstoff entweder saisonal zu speichern und damit in Wintermonaten mit wasserstoffbetriebenen Gasturbinen die Versorgungssicherheit zu garantieren oder um ihn
für den Schwerverkehr bereitzustellen.
Power-to-Gas-Anlagen könnten auch zur Lösung der Probleme mit der Wasserspeicherung bei den Kraftwerken Obehasli beitragen und wären möglicherweise rascher und mit geringeren Umweltauswirkungen
realisierbar. Im Sommer fällt bei den Kraftwerken Oberhasli ein Vielfaches an Wasser an, als in den bestehenden Stauanlagen gespeichert werden könnte. Die KWO werden zu dieser Zeit ebenfalls zu einem
Laufkraftwerk. Eine Wasserstoffproduktion bei den Kraftwerken Oberhasli wäre doppelt sinnvoll, weil das
Gas dort mit bestehenden Transitgasleitungen zu den Verbrauchern gebracht werden könnte. Ohne Anpassungen der Leitung können heute bis zu 10 Prozent Wasserstoff dem Erdgas beigemischt werden. Die
jährliche Transportkapazität der Transitgasleitung liegt bei 61 TWh. Dies entspricht einem Erdgasvolumen
von rund 17 Milliarden Kubikmeter, das über die Grimsel transportiert werden kann. Zum Vergleich: Die
Jahresproduktion des AKW Mühleberg betrug 3,1 TWh. Es könnten rund 1,7 Milliarden Kubikmeter Wasserstoff in Innertkirchen eingespeist werden. Rein Theoretisch (oder hypothetisch) könnten damit bei einem jährlichen Dauerbetrieb der Elektrolyseure (alkalische Elektrolyseure) pro Stunde maximal rund
190 000 Kubikmeter Wasserstoff eingespeist werden. Dies entspräche einer Power-to-Gas-Anlage mit 265
Modulen mit einer Leistung von je 3,4 MW. Diese grobe Abschätzung zeigt, dass es in Innertkirchen theoretisch möglich wäre, eine Wasserstoff-Grossproduktion zu betreiben und damit einen Beitrag zur Dekarbonisierung des Energiesystems zu leisten. Damit Kraftwerksbetreiber Projekte angehen können, brauchen sie aber Klarheit, ob sie solche Anlagen zonenkonform unter den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen realisieren könnten.

Antwort des Regierungsrates

Der Regierungsrat teilt das Anliegen der Motionäre, dass es bei den Rahmenbedingungen bezüglich Bewilligungen von (grossen) Wasserstoffproduktionsanlagen Klärungsbedarf gibt, vor allem auch im Hinblick auf die zukünftig immer grössere Anzahl an geplanten Projekten in dieser Hinsicht. Dies liegt einerseits darin begründet, dass es in der Schweiz bisher kaum bewilligte Wasserstoffproduktionsanlagen
gibt, anderseits darin, dass es auf Bundesebene bisher keine rechtliche Regulierung für Wasserstoff gibt,
wie es z.B. bei den Rohrleitungsanlagen durch das Rohrleitungsgesetz (RLG; SR746.1) der Fall ist, unter
welches Wasserstoffanlagen nicht fallen.
Wasserstoff wird in der nahen Zukunft in verschiedenen Sektoren des Energiesystems eine wichtige
Rolle spielen, insbesondere in Teilen des Verkehrs. Der Regierungsrat verweist diesbezüglich auf die
Antworten zu den Motionen M 054-2021 «Förderung von Infrastrukturen für den wasserstoffbetriebenen
Schwerverkehr» (2021.RRGR.79) und M 049-2021 «Mit wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellenbussen
Dekarbonisierung im öffentlichen Verkehr beschleunigen!» (2021.RRGR.74).

Zu den einzelnen Anträgen nimmt der Regierungsrat wie folgt Stellung:
1. Bei der Bewilligungsfähigkeit von Wasserstoffproduktionsanlagen sind grundsätzlich zwei Teile zu
unterscheiden: Einerseits die Produktionsanlage (hauptsächlich Elektrolyseure) und andererseits die
mögliche (Zwischen-)Speicherung des Wasserstoffes vor Ort.
Neben der von den Motionären erwähnten Zonenkonformität gibt es noch weitere Rahmenbedingungen, die bei der Bewilligungsfähigkeit bzw. dem gesamten Bewilligungsprozess eine Rolle spielen,
z.B. ob solch ein Vorhaben der UVP-Pflicht unterliegt oder nicht (nach Ziff. 70.5 und Ziffer 22.3 Anhang UVPV). Weitere Themenbereiche wie Brandschutz, Explosionsschutz, Arbeitssicherheit und
Gesundheitsschutz und ob so ein Vorhaben der Störfallverordnung unterliegt spielen ebenfalls eine
Rolle. Der Regierungsrat weist daraufhin, dass es keine Aufsicht oder Oberaufsicht gibt wie beim
Erdgas, da Wasserstoff nicht dem RLG unterliegt. Hierzu müsste der Bund Wasserstoff als gasförmigen Brennstoff aufnehmen und entsprechende neue Bestimmungen erlassen.
Der Regierungsrat ist bereit entsprechend seinen Zuständigkeiten, die notwendigen planerischen Voraussetzungen zu schaffen, damit grosse Wasserstoffproduktionsanlagen zonenkonform bewilligt
werden können; allenfalls in Absprache mit anderen Kantonen und dem Bund.
2. Unabhängig von der Störfallverordnung (StFV; SR 814.012) gelten die Regeln der Sicherheit und
Technik zum Bau und für den Betrieb von Anlagen. Die Störfallverordnung schützt die Bevölkerung
und die Umwelt vor schweren Schädigungen. Somit unterstehen Wasserstoffanlagen erst ab einer
Lagermenge von 5 Tonnen (= ca. 55’000 Nm3
) Wasserstoff der Störfallverordnung. Davon betroffen
sind vor allem Anlagen zu (Zwischen-)Speicherung des erzeugten Wasserstoffes, die diese Lagermenge überschreiten (Elektrolyseure oder Wasserstofftankstellen sind eher nicht betroffen). Wie bei
Störfallanlagen üblich wird die Realisierung im Einzelfall geprüft. Auch bei kleineren Anlagen ist in
jedem Fall eine geeignete Standortwahl und die Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsabstände
gegenüber der Bevölkerung unabdingbar.
Der Regierungsrat ist in diesem Zusammenhang bereit Klarheit zu schaffen für diejenigen Wasserstoffanlagen, vornehmlich Speicheranlagen, welche der Störfallverordnung unterliegen.
3. Der Rolle des Wasserstoffs kommt, wie bereits eingangs erwähnt, in naher Zukunft im Energiesystem (Stichwort Sektorkopplung) eine wichtige Rolle zu. Aus erneuerbaren Energien erzeugter sogenannter grüner Wasserstoff hat ein grosses Potential zur Speicherung, welche besonders im Winter
zukünftig eine wichtige Rolle einnehmen kann, aufgrund der sogenannten «Winterstromlücke». Der
Regierungsrat hat dies bereits erkannt und beim aktuellen Umsetzungsbericht zur Energiestrategie
(RRB 855/202) die Massnahme 20-10 «Saisonale Wärmespeicherung fördern» aufgenommen, mit
der u.a. power-to-x-Anlagen mit entsprechender Speicherbewirtschaftung verstärkt gefördert werden
sollen. Zudem hat er die Massnahme 20-21 «Winterstrom» ins Programm integriert. In Umsetzung
der Planungserklärung 2a «Der Regierungsrat zeigt Möglichkeiten auf, wie künftig Wasserstoffmobilität ausgebaut und gefördert werden kann.» und der Planungserklärung 2 «Der Regierungsrat überarbeitet in der nächsten Planungsperiode die Grundsätze und die strategischen Ziele sowie sämtliche
Teilstrategien, so dass sie mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 kompatibel sind.» des Grossen
Rates zum aktuellen Umsetzungsbericht der Energiestrategie, ist der Regierungsrat bereit die Rolle
der Wasserstoffproduktion, insbesondere der Speicherung, in der Energiestrategie des Kantons Bern
aufzuzeigen.
Aufgrund der obigen Ausführungen ist der Regierungsrat bereit, die Motion gesamthaft anzunehmen.

Beschluss:
Annahme (133 Ja, 0 Nein, 1 Enthaltungen)